Einfach gut beraten im November: Spritzen in den Rücken

29.10.2020 | Gesundheitskompetenz

Luise Kanter macht sich große Sorgen um ihren Mann. Eigentlich fing alles ganz harmlos an. Vor zwei Wochen hatte Herbert Kanter genug von den ständigen Kreuzschmerzen, die ihn seit einem Jahr plagen, mal mehr, mal weniger. Am besten ging es ihm immer, wenn er regelmäßig seine Übungen gemacht hat. Die hatte ihm ein Physiotherapeut letztes Jahr gezeigt. Ziel war es, die Rücken-, Bauch- und Beckenmuskeln zu stärken.

Anfangs lief alles zufriedenstellend. Die Schmerzen besserten sich deutlich. Dann zog der Schlendrian ein. Nach und nach vernachlässigte Herr Kanter seine täglichen Trainingseinheiten immer mehr. Auch die empfohlenen Entspannungstechniken wandte er nicht mehr an. Prompt kamen die Kreuzschmerzen zurück. Und blieben hartnäckig. Seit Monaten bekommt er sie nicht mehr richtig in den Griff.

Der Hausarzt hatte schließlich vorgeschlagen, eine so genannte multimodale Schmerztherapie zu machen. Dabei sind Ärzte, Physiotherapeuten und Psychotherapeuten in die Behandlung einbezogen. Allerdings versprach der Hausarzt dadurch keine Schmerzfreiheit. Natürlich gehe es auch darum, die Beschwerden zu lindern. Aber Herbert Kanter müsse lernen, mit den chronischen Schmerzen zurecht zu kommen. Das alles klang mühsam und wenig verlockend. Außerdem wollte Herbert Kanter sich keinesfalls von einem „Psycho-Doktor“ behandeln lassen. Ganz erbost sagte er zu seiner Frau: „Ich bild´ mir meine Schmerzen doch nicht ein! Da ist noch alles klar im Oberstübchen!“

Ein Besuch in einem großen Medizinischen Versorgungszentrum hatte Herrn Kanter neue Hoffnung gegeben. Der behandelnde Orthopäde hatte vorgeschlagen, unter CT-Kontrolle Schmerzspritzen im Bereich der Wirbelsäule zu setzen. Damit würden sie Herrn Kanters Beschwerden zuverlässig in den Griff bekommen. Er brauche wahrscheinlich nur 5 Sitzungen, um den Patienten wieder fit zu kriegen, versicherte der Facharzt.

Herbert Kanter wusste, dass sein langjähriger Hausarzt nicht begeistert war von dieser Behandlungsmethode. Trotzdem entschloss er sich für die Spritzen-Therapie. Natürlich stand auf dem Aufklärungsbogen alles Mögliche, das passieren konnte. Aber sowas musste man schließlich bei jedem Eingriff unterschreiben. Nach der ersten Behandlungsrunde hatte er ein wenig Kreislaufprobleme und Schwindel. Doch das verging rasch. Und die Schmerzen waren tatsächlich deutlich besser. Jedenfalls für zwei Tage.

Seitdem geht es täglich bergab. Herbert Kanter hat im Verlauf der letzten beiden Wochen total abgebaut. Was mit zunehmenden Schmerzen im Bereich der Injektionsstellen begann, hat schließlich zur notfallmäßigen Krankenhauseinweisung geführt. Zunächst fühlte Herr Kanter sich einfach nur schlapp, dann kamen zunehmende Kreislaufprobleme, starkes Krankheitsgefühl, hohes Fieber und kalter Schweiß. Als er verwirrt wurde, hat der Hausarzt ihn vor drei Tagen in die Klinik eingewiesen. Dort liegt er nun auf der Intensivstation und erhält Infusionen mit Antibiotika. Die Ärzte im Krankenhaus bestätigen, was der Hausarzt am Ende schon vermutet hatte: Durch die Spritzenbehandlung gelangten offenbar Bakterien in den Bereich um die Wirbelsäule. Diese Bakterien haben sich jetzt im Körper ausgebreitet.

Herr Kanter befindet sich im künstlichen Koma. Seine Frau weiß nicht, was sie nun tun soll. Sie ruft bei der SDK Gesundheitsberatung an und redet sich erst einmal die Angst von der Seele. Die Ärztin Johanna de Haas hört sich alles geduldig an, auch wenn der Bericht zwischendurch ein bisschen ungeordnet ist. Am Ende stellt sie einige Fragen. Schließlich hilft sie Frau Kanter, wieder Struktur in die Angelegenheit zu bringen.

Zuerst ist es gut und hilfreich, dass die Kanters vor einem halben Jahr schon einmal die SDK Gesundheitsberatung zum Thema Vorsorgedokumente in Anspruch genommen hatten. Frau Kanter besitzt seitdem eine Vorsorgevollmacht ihres Mannes. Deshalb müssen die Ärzte ihr über alles Auskunft erteilen und sie in die Therapieentscheidungen einbeziehen.

Durch Nachfragen kann Frau de Haas klären, dass Herr Kanter eine Sepsis erlitten hat. Natürlich ist das eine sehr ernste Situation. Aber die Ärzte wollen Herbert Kanter morgen wahrscheinlich aufwachen lassen. Das ist definitiv eine gute Entwicklung, erklärt die Beraterin.

Anschließend geht es um die Spritzenbehandlung. Frau de Haas weist darauf hin, dass es eine wissenschaftliche Leitlinie zum Thema unspezifische Kreuzschmerzen gibt. Dort wird klar von einer solchen Behandlung abgeraten. Die Wissenschaftler begründen ihre Ablehnung mit den zwar seltenen, aber sehr gefährlichen Nebenwirkungen und möglichen Folgeschäden solcher Spritzen. Die Ärztin erklärt, dass es 2019 in einem Medizinischen Versorgungszentrum in Köln zu einer ganzen Reihe von schweren Infektionen kam, nachdem viele Patienten Injektionen im Bereich der Wirbelsäule erhalten hatten. Frau Kanter bespricht noch kurz das Thema Behandlungsfehler mit der Ärztin. Grundsätzlich muss sie deswegen erst mal nichts unternehmen; da kann sie sich Zeit lassen, bis es ihrem Mann wieder besser geht. Wichtig ist aktuell nur, ein Gedächtnisprotokoll der Ereignisse zu verfassen. Das macht man am besten, so lange noch alles frisch im Kopf ist. Die Ärztin vereinbart mit Frau Kanter, sich in einigen Wochen nochmal zu melden, um das Thema ausführlich zu besprechen. Da sollte ihr Mann dann auch beteiligt sein.

Schließlich weist Frau de Haas noch auf zwei Dinge hin: 

  • Ausführliches Informationsmaterial zum Thema Behandlungsfehler gibt es auf der SDK-Website
  • Gegen chronische Rückenschmerzen hilft vor allem eine gezielte Bewegungstherapie. Für ihre vollversicherten Mitglieder bietet die SDK deshalb eine spezielle Rückenbehandlung, nämlich die integrierte funktionelle Rückenschmerztherapie. Bei vielen Teilnehmern in den FPZ Rückenzentren können die Beschwerden deutlich gelindert werden oder verschwinden sogar völlig. Diese Option wird Herr Kanter hoffentlich nutzen können, sobald er seine schwere Infektion überstanden hat.

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Quellen:

  • Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften: Nationale VersorgungsLeitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz, Langfassung 2. Auflage, 2017, Version 1, AWMF-Register-Nr.: nvl-007,
    https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/nvl-007.html,
    zuletzt abgerufen am 21.09.2020
  • Deutsches Ärzteblatt: Ermittlungen wegen Keimfunds in Radiologiepraxis ausgedehnt, 12.06.2019,
    https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/103823/Ermittlungen-wegen-Keimfunds-in-Radiologiepraxis-ausgedehnt,
    zuletzt abgerufen am 21.09.2020
  • Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Rücken- und Kreuzschmerzen, Stand 30.01.2019, https://www.gesundheitsinformation.de/rueckenschmerzen.2378.de.html,
    zuletzt abgerufen am 21.09.2020
  • Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften: PatientenLeitlinie zur Nationalen VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz, 2. Auflage, November 2017, Version 1