In-Vitro-Fleisch aus dem Reagenzglas

21.07.2020 | Gesundheitstipps

Viele Menschen wollen auf Fleisch nicht verzichten. Kann künstliches Fleisch aus dem Reagenzglas die Probleme lösen? Ein Faktencheck.

Es klingt verheißungsvoll: Können wir bald Rostbratwurst, Schnitzel und Schweinebraten genießen, ohne dass dafür Tiere sterben müssen? Massentierhaltung und Antibiotikaeinsatz in der konventionellen Fleischproduktion reduziert ja schon eine ganze Weile die Fleisch-Lust vieler Deutscher. Die herkömmliche Tiermast gilt zudem als Klimakiller. Doch macht künstliches Fleisch die Welt zu einem besseren Ort für Tier und Mensch?

Was ist künstliches Fleisch?

Künstliches Fleisch heißt im wissenschaftlichen Fachjargon In-Vitro-Fleisch. In-Vitro-Fleisch wird aus tierischem Muskelgewebe in der Petrischale erzeugt und im Labor gezüchtet. Forscher nennen das Verfahren „Tissue Engineering“ (= Gewebezüchtung). Bei diesem Vorgang werden Muskelstammzellen vermehrt, die einem lebenden Spendertier entnommen wurden. Die Muskelstammzellen werden im Labor in einer Nährlösung aus Kälberserum kultiviert, damit sich daraus Muskelfasern bilden können. So ganz ohne Tiere funktioniert die Herstellung also noch nicht. Die Konsistenz des In-Vitro-Fleischs soll am ehesten der von Hackfleisch ähneln.

Wann kommt künstliches Fleisch?

Bereits im Jahr 2013 stellten holländische Forscher ihren ersten In-Vitro-Burger vor. Doch bis künstliches Fleisch in Serie produziert werden kann, vergehen wohl noch einige Jahre. Bis jetzt sind viele Fragen offen. Es ist beispielsweise noch nicht geklärt, welche Zellen und welches Nährmedium sich am besten für die Massenproduktion eignet. Eine zum Verzehr geeignete Gerüstsubstanz, an der größere Fleischstücke „wachsen“ können, ist ebenfalls noch nicht gefunden. Bis jetzt wachsen nämlich eher Frikassee-Stückchen als saftige große Bratenstücke. Und es gibt noch ein weiteres Problem: Die Herstellung von Fettgewebe ist den Forschern noch nicht gelungen – und Fett ist bekanntlich der Geschmacksträger. Künstliches Fleisch ist also noch Zukunftsmusik. Dennoch bereiten sich viele große Fleischproduzenten in der ganzen Welt auf Fleisch aus dem Reagenzglas vor. Ein US-amerikanisches Unternehmen will die ersten künstlichen Fleischstücke bereits 2021 auf den Markt bringen. Der Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag erwartet konkurrenzfähiges künstliches Fleisch frühestens in 10 bis 20 Jahren.

Wie gut ist künstliches Fleisch für die Umwelt (und den Geldbeutel)?

Laut Selbsteinschätzung eines nordamerikanischen Start-up-Unternehmens, das künstliches Geflügelfleisch und Fleischbällchen entwickelt hat, soll die Produktion von künstlichem Fleisch bis zu 90 Prozent der Ressourcen im Vergleich zur traditionellen Fleischerzeugung einsparen. Schließlich benötigen die Zuchtgewebe kaum Land und wenig Wasser. Das Start-up rechnet damit, dass In-Vitro-Burger & Co. nicht mehr kosten werden als herkömmliche Fleischprodukte. Eventuell liegen die Produktionskosten sogar etwas darunter. Ob künstliches Fleisch gesünder ist als traditionelles Fleisch, ist zu bezweifeln. Schließlich besteht es aus denselben Inhaltsstoffen wie herkömmliches Fleisch.

Wollen wir „Schnitzel aus der Petrischale“?

Ob sich das sogenannte In-Vitro-Fleisch als Alternative zum echten Schnitzel durchsetzen wird, haben Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) untersucht. Schließlich verspricht im Labor gezüchtetes tierisches Muskelgewebe echten Fleischgenuss ohne schlechtes Gewissen. Eine Forschungseinrichtung des KIT, das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), hat hierzu Verbraucher, Wissenschaftler, Systemgastronomen und Vertreter von Organisationen im Bereich Umwelt und Tierschutz befragt. Den Ergebnissen zufolge „sieht die Mehrheit der Befragten im In-Vitro-Fleisch eine von vielen möglichen Alternativen zur konventionellen Fleischproduktion“, so das KIT. Kritische Stimmen sehen die Zukunft der Ernährung eher „in einer Reduktion des Fleischkonsums und dem ökologischen Umbau der Landwirtschaft“. Gegen das In-Vitro-Fleisch spreche auch die „mögliche weitere Entfremdung des Menschen vom Tier und die Gefahr einer Monopolisierung der In-vitro-Fleisch-Produktion“. Außerdem gibt es bei der Fleischproduktion aus tierischen Muskelstammzellen in einer Zellkultur trotz jüngst erzielter technischer Fortschritte noch einige Schwierigkeiten, allen voran das Fehlen einer tierfreien Nährlösung. Wir dürfen also weiterhin gespannt sein.

Quellen: