Die Unsicherheit im Umgang mit kranken Angehörigen und Freunden

05.09.2018 | Gesundheitskompetenz

Am Anfang kommen noch Blumen, Kollegen erkundigen sich nach dem Befinden, Nachbarn bieten ihre Hilfe an – doch je länger die Erkrankung dauert, desto ruhiger wird es häufig um die Betroffenen. Diese Situation erleben sogar die kleinen Patienten des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten Ralph Schliewenz. Von ihm wollten wir wissen, warum sich Menschen zurückziehen, wenn ein ihnen nahestehender Mensch in einer gesundheitlichen Krise steckt. Die spontane Antwort des Diplom-Psychologen ist ernüchternd…

MEINE SDK: Herr Schliewenz, wieso tut sich mancher so schwer, den Kontakt zu einem schwerkranken Menschen zu halten und ihm beiseitezustehen?

Ralph Schliewenz: An dem Ausspruch „Echte Freunde erkennt man, wenn es einem schlecht geht“ ist schon viel Wahres. Aber natürlich ist nicht jeder, der sich in schweren Zeiten zurückzieht, automatisch ein schlechter Freund. Oft stecken dahinter Unsicherheit und die Angst vor Überforderung. Dann wird die Begegnung mehr oder weniger bewusst vermieden.

MEINE SDK: Was kann ich tun, wenn ich eigentlich helfen möchte, aber unsicher bin?

Ralph Schliewenz: Stellen Sie sich der Situation. Machen Sie sich schlau über die Erkrankung. Übrigens steckt in dieser Neugier auch eine Chance für die Annäherung. Denn die betroffene Person ist ja gewissermaßen selbst der größte Experte für ihre Erkrankung. Fragen Sie einfach nach und hören Sie zu.

MEINE SDK: Was raten Sie mir, wenn ich den Eindruck habe, jemand lehnt meine Hilfe aus falscher Scham ab?

Ralph Schliewenz: Testen Sie die Bereitschaft, Hilfe anzunehmen, durch kleine Gesten. Bringen Sie etwas vom Einkaufen mit oder räumen Sie den Geschirrspüler aus. Dann merkt man schon am Gesichtsausdruck, ob der andere ganz bestimmt keine Unterstützung will oder sich vielleicht doch freut.

MEINE SDK: Gibt es so etwas wie Dos and Don’ts im Hinblick auf die persönliche Unterstützung für kranke Angehörige und Freunde?

Ralph Schliewenz: Ja, ein paar Dinge gibt es da schon. Tun Sie zum Beispiel auf keinen Fall so, als wäre nichts. Was auch oft nicht gut ankommt, sind Überraschungsbesuche. Damit bürden Sie der erkrankten Person unter Umständen unnötig die Pflicht auf, ein guter Gastgeber zu sein. Vor allem aber empfehle ich, hinsichtlich der eigenen Hilfsbereitschaft ehrlich zu sein. Sagen Sie zum Beispiel nicht „Du kannst mich rund um die Uhr anrufen“, wenn Sie ab zehn Uhr Ihre Ruhe haben möchten. Sie sollten sich als Helfender schließlich auch nicht überfordern.

Interview mit Ralph Schliewenz; Diplom-Psychologe, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut sowie Mitglied im Vorstand der Sektion Klinische Psychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. (BDP).