Immer müde: Wenn Erschöpfung zur Krankheit wird

26.04.2023 | Gesundheitstipps

Müdigkeit – das französische Wort dafür lautet „Fatigue“. Der Begriff beschreibt aber auch eine Krankheit, von der viele Menschen betroffen sind. Nach einem anstrengenden Tag richtig erschöpft und zum Umfallen müde sein, das kennt jeder. Menschen mit Fatigue leiden ständig unter einem solchen Gefühl. Der Akku ist leer. Fatigue tritt plötzlich und ohne vorhergehende Anstrengung auf und betrifft Körper, Geist und Seele. Es ist eine Krankheit, die Menschen plötzlich aus dem Leben reißt. Oft tritt Fatigue zusammen mit chronischen Erkrankungen auf – nicht selten nach einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2. Wer unter der mysteriösen Krankheit leidet, irrt auf der Suche nach Hilfe oft von Arzt zu Arzt. Noch gibt es keine Heilung, doch Hoffnung für Betroffene. Lesen Sie hier alles Wichtige über das Fatigue-Syndrom.

Was sind die Symptome von Fatigue?

„Es fühlt sich an, als würde man eine Grippe bekommen“, schildert eine Betroffene ihr Leiden. „Als hätte ich 50 Kilo Blei an den Füßen.“ Manche Erkrankten können sich schlecht konzentrieren. Sie fühlen sich geistig wie benebelt – Experten sprechen von "brainfog" – als würde das Gehirn von Reizen überflutet werden. Sie verlieren mitten im Satz den Faden, finden keine Worte. Kreislaufprobleme, Verdauungsbeschwerden oder Gefühlsstörungen können dazu kommen. Das Herz rast oder stolpert. Auch Schwindel, Luftnot ist möglich, viele sind unsicher auf den Beinen. Ein Teil der Patientinnen und Patienten leidet unter Verdauungsstörungen wie Reizdarm, andere haben eine Reizblase. Nicht selten sind Betroffene überempfindlich für Licht, Gerüche, Geräusche und Berührungen. Sie bekommen Schweißausbrüche, spüren ein Brennen oder Kribbeln am Körper, die Muskeln zucken. Pausen oder Schlaf lindern diese Symptome nicht. Oft sind selbst Ärzte ratlos.

Wer ist von Fatigue betroffen?

Laut einer Studie des Bundesministeriums für Gesundheit gibt es in Deutschland etwa 250 000 Betroffene. Frauen erkranken doppelt so häufig wie Männer, meist zwischen 15 bis 40 Jahren. Die Dunkelziffer ist mutmaßlich sehr hoch, weil viele Ärzte sich nicht mit der Krankheit auskennen und geeignete Diagnoseverfahren fehlen. Fatigue beeinträchtigt das Leben der Betroffenen nachhaltig. Typischerweise tritt Fatigue als eine Begleiterscheinung chronischer Erkrankungen wie Krebs, Rheuma, Multipler Sklerose und HIV/Aids auf oder als Folge außergewöhnlicher Belastungen wie Chemotherapien. Als ein Symptom von Long Covid und Post-Covid kann es nach einer Genesung von Covid-19 zu Fatigue kommen.

Was sind die Ursachen von Fatigue?

Immer mehr Forscherteams und Patientenorganisationen weltweit sind auf Spurensuche nach weiteren möglichen Ursachen. Bei bis zu 80 Prozent der Betroffenen scheint Fatigue mit einer Infektion in Verbindung zu hängen. Unter Verdacht steht vor allem das Epstein-Barr-Virus, Auslöser des Pfeifferschen Drüsenfiebers. Jedoch kommen auch andere Herpesviren, Grippe- und Erkältungs- und Coronaviren, Magen-Darm-Keime, Borrelien und auch Chlamydien, sexuell übertragbare Bakterien, in Betracht. Nicht klar ist, was solche Krankheitserreger im Körper verändern und wie es zum Fatigue-Syndrom kommt. Manche Forscher meinen, dass die Keime chronische Infektionen auslösen oder solche immer wieder aktivieren. Wie bei Herpesviren, die im Organismus bleiben und ab und an wieder aktiv werden können. Auch Operationen, Traumata wie ein Unfall, Chemikalien, chronischer Stress und anhaltende körperliche Überlastung können das Ausbrechen der Krankheit triggern. Da es Fälle gibt, in denen Kinder von Betroffenen erkranken, ist auch eine genetische Veranlagung nicht auszuschließen.

Wie schwer sind die Folgen von Fatigue?

Selbst einfachste Tätigkeiten münden in einer ausgeprägten Erschöpfung und Schwäche. Etwa, einen kleinen Spaziergang machen, eine Treppe hochgehen, telefonieren, Zeitung lesen, die Wäsche aufhängen. Fatigue kann plötzlich beginnen oder schleichend, der Zustand kann sich dauerhaft verschlechtern oder in Schüben. Manche Betroffene können Beruf und Alltag noch einigermaßen meistern – wenn auch mit gravierenden Einschränkungen. Andere sind so schwer belastet, dass sie das Haus nicht mehr verlassen können, teilweise nicht mal mehr das Bett. Schätzungen zufolge sind circa ein Viertel der Menschen mit Fatigue haus- oder bettgebunden.

Können Long Covid oder das Post-Covid-Syndrom Auslöser sein?

Es gibt immer mehr Hinweise, dass Long Covid oder das Post-Covid-Syndrom in manchen Fällen zu Fatigue führen können – beziehungsweise umgekehrt: Dass Fatigue andauernde Beschwerden in Folge einer Covid-19 Infektion fördert. Zahlreiche Symptome beider Erkrankungen überlappen sich weitgehend. Von Long COVID sprechen Experten, wenn 4 Wochen nach der Ansteckung immer noch Krankheits-Anzeichen auftreten. Beim Post-COVID-Syndrom, bestehen Beschwerden noch 12 Wochen nach der Ansteckung oder treten neu auf.

Wie wird Fatigue festgestellt?

Für Forschung und Aufklärung über die Krankheit engagiert die Deutschen Fatigue Gesellschaft (DFaG). Es gibt es derzeit noch keine Möglichkeiten, die Krankheit anhand bestimmter Marker oder mittels eines Tests nachzuweisen. Auch spezielle Therapien, mit denen sich die Erkrankung gezielt behandeln ließe, stehen aus. Viele Ärzte sind zunächst ratlos, wenn Betroffene ihre Symptome beschreiben. Wenn keine körperlichen Ursachen feststellbar sind, steht oft die Vermutung im Raum, ein psychisches Leiden könnte Auslöser der Erschöpfung sein. Häufig werden Burnout und Depression attestiert, dann wird meist zu einer Psychotherapie geraten.

Betroffene sollten sich am besten an ihren Hausarzt oder ihre Hausärztin wenden und Beschwerden sowie Befindlichkeitsstörungen möglichst konkret schildern. In der Hausarztpraxis sind mögliche Vorerkrankungen bekannt. Das ist wichtig, denn bei der Diagnose Fatigue handelt es sich in der Regel um eine Ausschlussdiagnose. Letztendlich muss die Ärztin oder der Arzt die Krankheitsgeschichte der Patienten kennen und Krankheiten ausschließen, die mit ähnlichen Beschwerden einhergehen können. Wie Depression, Rheuma, Schilddrüsenunterfunktion oder Schlafstörungen. Schwierig dabei: Studien zeigen, dass Fatigue auch zusammen mit anderen Krankheiten auftritt, etwa Fibromyalgie, Reizdarm, Zöliakie, Depression, Allergien und Kreislaufsstörungen. Daher ist es für Ärzte und Ärztinnen alles andere als einfach, die Erkrankung richtig einzuordnen.

Was versteht man unter Chronic Fatigue Syndrom (CFS) und Myalgischer Enzephalomyelitis (ME)?

Das Chronischen Fatigue-Syndroms (CFS) gilt als eigenständige jedoch sehr seltene Erkrankung. Der Begriff CFS reduziert das Leiden auf die chronische Müdigkeit und Erschöpfung. Es gibt jedoch weit mehr Symptome. Die Bezeichnung ME/CFS beschreibt, dass es sich um eine Entzündung des Gehirns und Rückenmarks handelt, die vor allem durch Muskelschmerzen charakterisiert ist. ME steht für Myalgische Enzephalomyelitis oder englisch Myalgic encephalomyelitis. Wichtig für Menschen mit ME/CFS: Sie bilden sich ihre Beschwerden nicht ein. Ihre Krankheit ist keine psychische Erkrankung, wie oft behauptet wird, sondern eine neurologische. Das Leiden besitzt sogar einen eigenen Code: G93.3. Diese Kombination ist Teil eines Systems, mit dem die Weltgesundheitsorganisation Krankheiten einordnet – in diesem Fall unter „sonstige Krankheiten des Nervensystems“.

Was tut man gegen Fatigue?

Nach einer Ausschlussdiagnostik beim Hausarzt oder der Hausärztin kann über eine geeignete Behandlung nachgedacht werden. Diese wird in jedem Fall individuell kombiniert. Fatigue gilt als noch nicht heilbar, Medikamente zur Behandlung existieren nicht, beziehungsweise befinden sich möglicherweise geeignete Therapien derzeit in wissenschaftlichen Tests. Behandelnde versuchen daher in erster Linie, die Beschwerden zu lindern. Eine Anlaufstelle für Betroffene ist das Fatigue Centrum der Charité Universitätsklinik Berlin. Der Patientenzulauf ist jedoch so stark, dass meist nur Personen aus der Region dort Termine bekommen. Vor allem können Patienten und Patientinnen Strategien lernen, um besser mit der Krankheit zu leben. Dazu zählen vor allem Energie-Management (Pacing) und Stresskontrolle (Coping). Mehr Informationen dazu unten.

Was gibt Hoffnung bei Fatigue?

Manche Menschen erholen sich dank verschiedener Maßnahmen langfristig wieder – oder ihr Zustand bessert sich immerhin deutlich. Die Therapie zielt vor allem darauf ab, die Beschwerden zu lindern und Stress und Überforderung zu vermeiden.

Was lindert Beschwerden bei Fatigue?

Gegen Kopf- und Gliederschmerzen sowie Fieber helfen Schmerzmittel wie Ibuprofen, Naproxen oder Paracetamol. Vor der Einnahme unbedingt ärztlich oder in der Apotheke klären, ob etwas gegen die Medikamente spricht. Wichtig: Schmerzmittel nur bei Bedarf anwenden. Wer die Mittel wegen dauerhafter Beschwerden unter Umständen längerfristig nimmt, sollte dies auf jeden Fall mit einem Arzt besprechen. Das gilt auch bei Schlafproblemen: Schlaffördernde Medikamente stets nur in Absprache mit einer Ärztin oder einem Arzt einnehmen, da manche Medikamente tagsüber zu vermehrter Schläfrigkeit führen können und weitere Nebenwirkungen haben. Falls sich depressive Episoden entwickeln, können Antidepressiva geeignete Mittel sein. Das sollte im Einzelfall abgeklärt werden.

Wie mit Stress umgehen bei Fatigue?

Menschen, die das Fatiguesyndrom haben, sollten durch Austesten versuchen, eine Art Komfortzone zu finden. Es gilt herauszufinden, innerhalb welcher Grenzen man so viel wie möglich machen kann, ohne sich zu überfordern – sozial, geistig, körperlich. Eine Methode dafür ist das sogenannte Pacing. Dabei werden alle Aktivitäten so angepasst, dass es gar nicht erst zu Überlastung kommt. Also Pausen einlegen, bevor sich Erschöpfung einstellt. Prioritäten setzen und Merkzettel schreiben. Nach anstrengenden Tagen mindestens einen Tag Erholung einplanen.

Wo lässt sich Energie sparen bei Fatigue?

Die Möglichkeiten sind vielfältig. Betroffene müssen herausfinden, was zu ihrem Alltag passt. Zum Beispiel öfter sitzen statt stehen. Viele Menschen mit Fatigue hilft es, ein Tagebuch führen, um herauszufinden, was die Beschwerden verschlechtert. Dann lassen sich Stressauslöser besser erkennen. Generell gilt: Einen Gang runterschalten, etwa nicht zu lange telefonieren und ein Gleichgewicht zwischen geistiger und körperlicher Aktivität und Ruhe finden.

So hilft Pacing bei Fatigue

Gute Erfahrungen haben viele Betroffene mit dem „3P-Prinzip“ gemacht – Pacing, Planen, Priorisieren. Das bedeutet konkret: das Tempo anpassen, Aktivitäten planen und im Alltag Prioritäten setzen. Das Ziel: Energie sparen, Überforderung vermeiden. Vor allem geht es darum, Aktivitäten in einem langsameren Tempo auszuführen und regelmäßig Pausen einzulegen. Wer Aktivitäten gut vorbereitet, schont seine Ressourcen. Tipp: Merkzettel scheiben, etwa vor dem Einkaufen einen Einkaufszettel. Im Beruf wie privat gilt: Grenzen erkennen und diese auch einhalten

Ist Bewegungstherapie ratsam bei Fatigue?

Für Patienten, die so schwach sind, dass sie nicht mehr das Haus oder gar das Bett verlassen können, ist an Bewegungstherapie im Sinne von Sport nicht zu denken. Die Gefahr, sich zu überfordern und in ein tiefes Energieloch zu fallen, ist zu groß.

Kann man mit Fatigue Sport treiben?

Muskelaktivität ist zwar wichtig für die Gesundheit. Dabei werden Stoffe ausgeschüttet, die nicht nur Entzündungen hemmen, sondern auch die Gehirnfunktion stimulieren und viele Stoffwechselprozesse optimieren. Bei Erkrankten mit Fatigue jedoch verstärken Sport und Bewegung meist die Symptome. Diese sogenannte Post Exertional Malaise (Verschlechterung nach körperlicher, geistiger oder emotionaler Anstrengung) kann bis zu 48 Stunden nach Belastung eintreten. Wer Lust auf körperliche Aktivität hat, sollte es sanft angehen, sich nur in kurzen Etappen bewegen und ausreichend Pausen machen. Für den Einzelnen kommt es darauf an, das richtige Pensum zu finden. Generell ist es wichtig, sich auch ausreichend auszuruhen und zu entspannen. Geeignete Methoden sind die Progressive Muskelrelaxation und autogenes Training.

Hilft eine spezielle Ernährungsweise bei Fatigue?

Wenn ein Mangel an bestimmten Mikronährstoffen festgestellt wurde, kann eine zeitlich begrenzte Einnahme überlegt werden. Den Energiestoffwechsel beeinflussen unter anderem Stoffe wie Ribose, Coenzym Q 10, NADH, B-Vitamine, Carnitin und Arginin. Auch Magnesium, Eisen, Omega-3-Fettsäuren, Antioxidantien wie Vitamin C und E spielen dabei eine Rolle. Wichtig: Nahrungsergänzungsmittel nicht ohne Absprache mit einem Arzt über längere Zeit und/oder in hoher Dosierung einnehmen. Denn auch bei „Vitaminpillen“ können die Inhaltsstoffe gegebenenfalls schaden.

Welche digitalen Helfer gibt es bei Fatigue?

Tracking-Apps und Wearables können Menschen mit Fatigue im Alltag unterstützen: Es gibt Apps, die Schlaf, Aktivitäten, bestimmte gesundheitliche Parameter und das allgemeine Wohlbefinden erfassen. So fällt es leichter, den eigenen Körper besser einzuschätzen und das Verhalten entsprechend anzupassen. Für zertifizierte Medizinprodukte, sogenannte DiGA, werden die Kosten in der Regel übernommen, etwa für die Fimo Health App.

Welche Strategien helfen noch bei Fatigue?

Ergotherapie kann dabei unterstützen, die Konzentrationsfähigkeit wieder zu stärken. Viele Betroffene profitieren von Entspannungsübungen, etwa autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation, Meditation sowie Tai-Chi und Yoga. Es gilt, individuell herauszufinden, was angenehm ist und guttut. Unbedingt dabei vermeiden: Überforderung. Entspannte Aufenthalte in der Natur geben vielen Menschen Energie. Außerdem wichtig: Betroffene sollten sich nicht isolieren, sondern Zeit mit Freunden und Familie verbringen. Studien zeigen, dass soziale Kontakte förderlich für die Gesundheit sind. Auch Musik kann helfen, mental zu Kräften zu kommen.

Vielen Betroffenen hilft das Wissen, nicht allein zu sein. In Selbsthilfegruppen können Menschen mit Fatigue Erfahrungen austauschen. Infos und Kontaktadressen bietet der Selbsthilfeverein Fatigatio. Auch über nakos.de, die Homepage der Nationalen Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen, finden sich Angebote.

Wie komme ich mit Fatigue zu einer Reha?

Bevor die Hausärztin oder der Hausarzt eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme verordnet, sind in der Regel zunächst ambulante Therapie und Eigenübungen angesagt. Führen diese Maßnahmen nicht zu einem ausreichenden Behandlungserfolg, etwa wenn Betroffene nicht ins Berufsleben zurückkehren können, kann eine mehrwöchige Reha in einer Tagesklinik (teilstationär) oder einer stationären Rehabilitationseinrichtung angezeigt sein. Je nach Schwerpunkt der Beschwerden kann besprochen werden, welche Form der Reha am besten geeignet ist. Vorteil einer stationären Reha gegenüber der ambulanten Therapie ist, dass die Behandlung intensiver stattfinden kann und Alltagsbelastungen, etwa Haushalt und Betreuung von Kindern, abgenommen werden.

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